Warum Jörg Gemkow bei der Landshuter Hochzeit mitmacht.
„Wer einmal Bühnenluft geschnuppert, den lässt das Theater nimmer los.“ Auf Jörg Gemkow – Pfarrer im niederbayerischen Neufahrn, Opernsänger, Chorleiter – trifft diese alte Theaterweisheit gewiss zu. „Ich hatte große Lust, beim Festspiel der Landshuter Hochzeit dabei zu sein und es ist eine große Ehre, dass ich genommen wurde“, sagt Gemkow. Kein Wunder, dass der bühnenerfahrene Sänger auch beim Casting zur Landshuter Hochzeit überzeugte. Ab 30. Juni schlüpft der 63jährige Geistliche aus seinem gewohnten Gewand und kleidet sich als Ratsherr aus dem 15. Jahrhundert. Sechs Aufführungen des neuen Festspiels werden dann wöchentlich im Prunksaal des Landshuter Rathauses zu sehen sein.
Sein Traumberuf sei eigentlich Arzt gewesen, wie sein Vater. Doch sein bereits in Jugendjahren unbequemes Denken verhinderte dies. Mit 15 Jahren schreibt der Sänger im Leipziger Thomanerchor an eine japanische Brieffreundin: „Unsere Zukunft im Sozialismus ist schwärzer als Kohle!“ Sein Brief wurde von der Staatssicherheit geöffnet, dem Schulleiter vertraulich zur Kenntnis gegeben und die „staatsfeindliche Haltung“ führte 1976 zur Relegation vom Gymnasium. Den Grund dafür erfuhr er aber erst als er 50 Jahre alt war. Immerhin durfte der ehemalige Thomaner mit 16 Jahren Musik studieren.
Nach dem Studium wird er am Landestheater Altenburg in Thüringen engagiert, singt neben einigen schönen Partien aber auch das, was die kulturpolitischen Ziele der DDR vorgaben. Das war ihm zu wenig. Obwohl er die Theatererfahrung überhaupt nicht missen möchte, lässt Gemkow den staatlichen Kulturbetrieb hinter sich. Er arbeitet als Altenpfleger in der Diakonie, als kaufmännischer Angestellter einer großen Leipziger Musikalienhandlung und entscheidet sich gegen den DDR-Ausreiseantrag. Gemkow bleibt und beginnt noch einmal im Alter von 26 Jahren Theologie in Berlin, an einer kirchlichen Hochschule zu studieren. „Die durften mich nehmen, da hatte die Stasi keinen Zugriff“, stellt der Protestant fest. Er kommt zu der Erkenntnis: „Wenn ich im Osten bleibe, dann muss ich meinen Freiraum finden. Das kann ich als Pfarrer.“ Kirche in der DDR ermöglichte es, dass Maler, Musiker, Schriftsteller wie Stefan Heym, die nicht mehr öffentlich auftreten konnten, noch wahrgenommen wurden. In der Kirche entstanden die Friedensgruppen, die schließlich zur Implosion des DDR-Unrechtsstaates geführt haben. Die Ost-Berliner kirchliche Hochschule war damals eine Denkfabrik, aus der nach der Wende Politiker wie der Mitgründer von Bündnis 90/Die Grünen Wolfgang Ullmann, der erste freigewählte DDR-Außenminister Markus Meckel oder der heutige Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks und Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger, ein Studienfreund Gemkows, hervorgingen.
1989 nach dem Fall der Berliner Mauer hört Gemkow mit dem Studium auf. „Ich wollte Pfarrer in der DDR werden, im Freiraum der Kirche und mit den Menschen, die ebensowenig an den Ost-Sozialismus glaubten, wie ich!“ In die Politik gehen, wie sein Vater, sein Bruder, später sein Neffe, wollte er auf keinen Fall. Er bezweifelt auch heute, dass Politik – abgesehen von der Kommunalpolitik – etwas mit „Staatskunst“ zu tun hat.
Noch einmal studiert er an der Freien Universität Berlin Religionswissenschaft, Soziologie und Linguistik, schreibt über kirchenpolitische Themen in der Berliner „taz – Tageszeitung“ und wird dann doch Pfarrer. Über theologische Grundsätzlichkeiten grübelt da Gemkow längst nicht mehr. „Ich bin nicht nur für die eingetragenen Christen da, sondern für das ganze Dorf“, bekennt Gemkow beim Antritt seiner ersten Pfarrstelle im brandenburgischen Königs Wusterhausen. Da staunte dann auch das ehemalige SED-Mitglied, als ihn der Pfarrer zum Geburtstag besucht hat.
In dem entkirchlichten Dörfern Brandenburgs formt der Pfarrer gemeinsam mit dem Kirchenvorstand sein Kirchenverständnis: „Unsere Dorfkirchen sind Begegnungsorte für alle Einwohner. Konzerte, Kinderfeste, Ausstellungen, Gottesdienste, Bürgerversammlungen, Vortragsreihen – hier wird dem Miteinander der Geist eingehaucht, der zum Miteinanderleben bewegt.“ In der Berliner Nikodemus-Kirche vereint Pfarrer Gemkow schließlich wieder seine musikalischen und darstellerischen Gaben mit den Aufgaben des Pfarramts: Jeder Gottesdienst wird zu einem kleinen musikalischen Kleinod, unterstützt von einem Konzert-Steinway. Entweder singt Gemkow selbst oder Gäste wie Startenor Rolando Villazón. Seine Predigten sind oft untermalt von Musik und durch seine Predigt zu Charles Darwin, begleitet von lauten Trommeln, wird er zum Prediger im Kultursalon des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Gemkow beendet diese Zusammenarbeit, nachdem er Streichungen im Text seiner Predigten nicht mehr hinnehmen wollte.
Kirchliche Gesetzlichkeiten, da ist sich Gemkow auch sicher, tragen entscheidend zum Exodus aus der Kirche bei. „Unsere Zukunft wird ökumenisch sein oder sie wird überhaupt nicht sein.“, sagt Gemkow, der sich bei den katholischen Gottesdiensten, den Hochfesten, aber auch in der Neufahrner Moschee genauso heimisch fühlt, wie in seiner Kirche – oder auf der Bühne.
Bilder:
Bild 1: Gemkow als Engel für den erkrankten Darsteller eingesprungen – Nikodemus-Kirche Berlin
Bild 2: Nuevo Orchestra: Mit Startenor Rolando Villazon in der Nikodemus-Kirche Berlin
Bild 3: Gemkow im Thomanerchor 1970 . Als 10-jähriger im Konzertanzug, der „Kieler Bluse“
Bild 4: Gemkow Jörg in der Rolle des kathol. Pfarrers des Stücks „Verhexte Hex“, Theaterverein Neufahrn