„Das Herz unseres christlichen Glaubens schlägt jüdisch!“
Mit über 180 Gottesdienstbesucher*innen feierte das Evangelisch-Lutherische Dekanat Landshut das Reformationsfest mit einem eindrucksvollen Gottesdienst gegen Antisemitismus. Dekanin Dr. Nina Lubomierski eröffnete den Gottesdienst und gab einen kurzen Einblick in die Geschehnisse bei Martin Luther vor 500 Jahren. Viele Themen hätten sich für den Gottesdienst am Reformationstag 2023 geeignet. Die Dekanin entschied sich jedoch, die 1523 entstanden Schrift „ Dass Jesus ein geborener Jude sei“ in den Mittelpunkt zu stellen. Dr. Nina Lubomierski ist der Meinung, dass „wir nicht genug über unser Verhältnis zum Judentum reden können und es immer noch Aufklärungsbedarf beim Thema Antisemitismus, auch in der evangelischen Kirche, gibt. Wir sollten nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir nicht auch selbst dazu beitragen, dass antijüdische Klischees überliefert werden. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit Martin Luthers anti-jüdischen Aussagen“. Diesen Appell richtet Dekanin Dr. Nina Lubomierski zu Beginn an die Gottesdienstbesucher*innen unter denen auch zahlreiche Ehrengäste aus der Ökumene, der Öffentlichkeit und der Politik vertreten waren. Von katholischer Seite waren Dekan Alexander Blei und Spiritual Armin Weyers zu Gast. Mit der Landtagsabgeordneten und Mitglied der Landessynode Ruth Müller, dem Landrat des Landkreises Dingolfing-Landau Werner Bumeder mit Frau, dem stellvertretenden Landrat des Landkreises Landshut Sebastian Hutzenthaler, den Stadträten aus Landshut Ludwig Zeller in Vertretung des Oberbürgermeisters Alexander Putz‘, sowie Gerd Steinberger und Patricia Steinberger waren Vertreter*innen aller politischen Ebenen unter den Gottesdienstbesucherinnen.
„Dass das Thema für den Gottesdienst so eine Aktualität in den letzten Monaten und besonders in den letzten Wochen entwickeln würde, war bei der Auswahl des Themas vor einem halben Jahr nicht absehbar“, so die Dekanin. Daher sei sie Dr. Axel Töllner, dem Beauftragten der Evangelischen Landeskirche Bayern für christlich-jüdischen Dialog dankbar, dass er als Experte die Predigt hielt und den Gottesdienstbesucher*innen auch einen Einblick in die historischen Aspekte des christlich-jüdischen Verhältnisses gab.
In der Predigt spannte Dr. Axel Töllner einen Bogen zwischen den antijüdischen Texten von Martin Luther, der historischen Entwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnisses, der Einordnung in die christliche Theologie und der Verantwortung für einen respektvollen, offenen und zugewandten Dialog. Dabei bezog er auch die aktuellen Geschehnisse in Israel, Gaza und der Welt ein.
Dr. Axel Töllner bekräftigte, dass antijüdische Haltungen und Einstellungen sich bei den Reformatoren und in der christlichen Geschichte immer wieder fänden. Besonders in seinen späteren Schriften versteige Martin Luther sich zu einem besonders giftigen Hass gegen Jüdinnen und Juden, der seinen Ruf als Judenfeind wesentlich begründet hat. Das sei bis heute eine schwere Hypothek. Auch deshalb betonte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 2015 ausdrücklich: Martin Luthers Sicht auf das Judentum und seine Schmähungen gegen jüdische Menschen und Kultur „stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat“.
Dennoch sei der christlich-jüdische Dialog ein zartes Pflänzchen. „Wo christliche und jüdische Menschen zusammenkommen und zusammenarbeiten, zeigt sich, dass es zusammen zu einem besseren Verständnis der Vergangenheit und zu einer besseren Theologie für die Zukunft kommen kann. Und Begegnung und Zusammenarbeit zeigen einen zentralen Wert, den beide, Judentum und Christentum gemeinsam haben: dass Hass in Liebe verwandelt werden kann“, so Dr. Axel Töllner. „Denn das Herz unseres christlichen Glaubens schlage jüdisch.“ Mit dieser Ermunterung beendete Dr. Axel Töllner seine Predigt und forderte die Gottesdienstbesucher*innen auf, sich auf die Gemeinsamkeiten der Religionen zu besinnen und sich zu fragen, was jede und jeder selbst zur Liebe und zum Frieden beitragen könne.
Mit einem musikalischen Hochgenuss unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Volker Gloßner wurde der Gottesdienst umrahmt. Der Bezirksposaunenchor eröffnete mit einer Variation über den bekannten Choral „Lobe den Herren“, welcher anschließend von der Gemeinde gesungen wurde. Zwischen der Liturgie und der Predigt brillierten Kirchenmusikdirektor Volker Gloßner an Orgel und Klavier, Cosima Höllerer mit Gesang (Sopran) und Timo Verbole am Saxophon mit einem Genre Mix aus Improvisation, Arien von Händel und dem Impressionisten Gabriel Farué, und füllten den Kirchenraum der Christuskirche mit ihren beeindruckenden Klängen. Den Ausklang in die Nacht spielte der Posaunenchor mit einer Fantasie über „Der Mond ist aufgegangen“.
Im Anschluss an den Gottesdienst gab es die Gelegenheit bei einem Getränk ins Gespräch zu kommen, seinen Gedanken aus dem Gottesdienst nachzugehen, alte und neue Bekannte wieder zu sehen und den Abend ausklingen zu lassen.