Sehr geehrter Familie Anders, liebe Verwandte und Angehörige, Freunde, Kollegen, Weggefährten, liebe Gemeinde,
vor einigen Tagen ging die Ausstellung ‚zu Hause und doch fremd‘ in der kleinen Rathausgalerie zu Ende, organisiert vom ev. Bildungswerk. Die Ausstellung war Teil der Veranstaltungsreihe „80 Jahre Frieden“ der Stadt Landshut und informierten sich über die Schicksale von Schlesiern und Polen, die durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs vertrieben bzw. umgesiedelt wurden. Einer der Schlesier, die vor 80 Jahren nach Niederbayern kam, war der nicht einmal 10 Jahre alte Fritz Paul Anders.
Am 29. Mai 1935 in Breslau geboren, musste er im Januar 1945 mit seiner Mutter und seine Schwester Gerda aus Schlesien fliehen. Über Dresden, wo er einen Fliegeralarm erlebte, kam die Familie Ergoldsbach. Fritz Anders hat wenig über die Flucht erzählt und doch können wir uns aus den vielen anderen Fluchtgeschichten zusammenreimen, was er erlebt habe muss. Denn viele der Evangelischen in Niederbayern haben Flucht und Vertreibung noch selber erlebt oder kennen die Geschichten aus den Erzählungen von Eltern und Großeltern. Aber können wir, die wir es nicht selbst erlebt haben, wirklich verstehen, was die Flucht mit der Seele eines 9 Jährigen gemacht hat? Wer kann denn überhaupt ermessen, was es für ein Kind bedeutet, allein und auf der Suche nach der Schwester in Dresden 1945 einen Fliegenalarm mitzuerleben?
Wir können es wohl nur erahnen. Genau wie wir nur erahnen können, wie Fritz Anders sich wohl in der ersten Zeit in Ergoldsbach gefühlt haben muss: wo er den Dialekt weder verstand noch sprach und dann noch als Evangelischer. Es muss ein Kulturschock gewesen sein. Und wahrscheinlich spürte er, dass er nicht nur anders hieß, sondern auch anders war als die anderen bayerischen Kinder.
Und dennoch wurde Bayern und insbesondere Landshut zu Fritz Anders‘ Heimat. Nach der Volksschulzeit in Ergoldsbach besuchte er die Oberrealschule mit Schülerheim Hohenschwangau. Er gehörte zu den ersten Schülern der im Jahre 1947 von der bayerischen Staatsregierung gegründeten „höheren Lehranstalt mit Schülerheim für Knaben … vor allem für Flüchtlingsschüler und Schüler solcher Eltern, die in den Großstädten ausgebombt sind.“
Nach dem Abitur studierte er die Rechte in München und absolvierte das Referendariat in Landshut und Regensburg. In diese Zeit, am 18.05.1963 heiratete Fritz Anders die Krankenschwester Elli Brombach. Sie hatten sich zwei Jahre zuvor im Zug zum Kirchentag nach Berlin kennengelernt. Als Trauspruch wählten Elli und Fritz Anders den letzten Vers des Matthäus-Evangeliums: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Zusammen mit Gott bis an der Welt Ende – der Glaube daran bildete das Fundament der Ehe von Elli und Fritz Anders. Zwei Kinder, Oliver und Ursula, wurden den Eheleuten geschenkt. Seit 1973 wohnte die Familie in Adlkofen im selbst erbauten Haus mit der wunderbaren Adresse: Am Himmelreich. Und das Haus mit dem großen Garten, den Elli pflegte, war wohl auch ein Stückchen Himmel auf Erden für Fritz Anders.
Der Tod von Elli am 9. Mai 2011 markierte einen großen Einschnitt in Fritz Anders Leben. Zunächst versuchte er noch das Himmelreich zu erhalten, dann gab er schweren Herzens das Haus und den Garten ab und zog in die Altstadt. Später dann in Heilig-Geist-Spital. Und dort erlebte er etwas, was er sich sein ganzes Leben nicht gestattet hatte: er lernte einfach mal abgeben zu dürfen. Nichts leisten zu müssen. Von den Pflegekräften lernte er loszulassen, wie man es vorher kaum von ihm kannte. Es wurde viel gelacht in dem Zimmer mit Blick auf die Christuskirche. Deshalb gilt auch der Dank der Familie den Pflegekräften im Heilig-Geist-Spital.
Fritz Anders starb am 17. März 2025.
Christus spricht: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Darauf vertraute Fritz Anders und darauf wollen auch wir hoffen.
Wir hören die Siciliana g_moll von J.S.Bach, gespielt von Ilse Maria Reich und Jürgen Reih.
Kurze Zwischenmusik
Liebe Gemeinde, liebe Juristen und Juristinnen,
haben Sie sich je gefragt, warum der Flughafen, der ja in Oberbayern liegt, in die Zuständigkeit des niederbayerischen Landgerichts Landshut gehört? 1992, als der München Flughafen von Riem ins Erdinger Moos verlegt wurde, war Fritz Anders der Präsident des Landgerichts Landshut und er erfüllte seine Aufgabe so gut, dass man kurzerhand den Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Landshut durch Übernahme der Amtsgerichtsbezirke Erding und Freising erweiterte, um den Flughafen an Landshut und damit unter die Ägide von Fritz Anders zu stellen. Die Folge war eine deutliche Aufstockung der Zahl der Richterinnen und Richter und der Beschäftigten beim Landgericht. Fritz Anders war also durchaus daran beteiligt, dass ein frischer Wind in das verschlafene Landshut wehte. Und er es machte ihn auch stolz, etwas für ‚sein Landshut‘ erreicht zu haben.
Wie die Karriere von Fritz Anders in der Landshuter Justiz überhaupt erstaunlich ist. Erstaunlich, weil das evangelische Flüchtlingskind, ohne Beziehungen, sich Stufe für Stufe nach oben arbeitete. Vom Gerichtsassessor am Landgericht, über die Staatsanwaltschaft zum Amtsgerichtsrat, Landgerichtsrat, Vorsitzenden Richter am Landgericht, Vizepräsident am Landgericht und ab 1986 bis zu seinem Ruhestand im Juni 2000 Präsident des Landgerichts Landshut. Eine Hausberufung nach der anderen – ein Zeichen höchster Kompetenz und absoluter Integrität.
Dabei war es Fritz Anders immer wichtig, als Jurist auch Christ zu sein und zu bleiben. Die Frage, was es für einen Richter bedeutet, dass im Evangelium steht: „Richte nicht, auf das Du nicht gerichtet werdest“ trieb ihm um.
Und er brachte seine juristische Kompetenz in der Kirche ein: im Spruchausschuss der VELKD (der vereinigten Ev-Luth. Kirche), in der Schlichtungsstelle der VELKD, als Vorsitzender der Kammer für Amtszucht der bayerischen Landeskirche (ein Amt, das übrigens hier in der Erlöserkirche weitergeben wurde), als Vorsitzender des Rechts- und Verfassungsausschusses der Landessynode. In der letzten Funktion schrieb er um die Jahrtausendwende – eigentlich auf Reha wegen einer Hüft-OP – die gesamte Kirchenverfassung der ELKB entsprechend den Grundsätzen der Gleichbehandlung von Frauen und Männern um. Damit war er ein Vorkämpfer für die Gleichberechtigung von Männer und Frauen in unser Landeskirche.
Besondere Freude bereite ihm der Lehrauftrag ‚Wirtschaftsprivatrecht‘ an der Hochschule Landshut, den er über 30 Jahre als Honorarprofessor versah. Und nicht nur ihm, sondern auch den Studierenden, bei denen er sehr beliebt war. Anschaulich lehrte er aus der richterlichen Praxis und besuchte regelmäßig mit den Studierenden die JVA.
„Richte nicht, auf das du nicht gerichtet werdest“ – dieses Wort interpretiert Dietrich Bonhoeffer so (allerdings nicht mit Hinblick auf die Justiz): „Besonders schwer wird das, wo Starke und Schwache im Glauben in einer Gemeinschaft verbunden sind. Der Schwache richte nicht den Starken, der Starke verachte nicht den Schwachen. Der Schwache hüte sich vor Hochmut, der Starke vor Gleichgültigkeit. Keiner suche sein eigenes Recht, fällt der Starke, so bewahre der Schwache sein Herz vor Schadenfreude, fällt der Schwache, so helfe ihm der Starke freundlich wieder auf. Einer braucht so viel Geduld wie der Andere.“
Wir hören das Larghetto g-Moll von G.F.Händel
Kurze Zwischenmusik
Liebe Gemeinde der Erlöserkirche Landshut,
wir nehmen heute Abschied von ihrem Gemeindeglied. Viele von Ihnen werden noch wissen, wo er hier in der Kirche fast jeden Sonntag gesessen hat. Und wie sehr er gefehlt hat, als er sich nach und nach aus den kirchlichen Ämtern und dann aus dem Gemeindeleben zurückgezogen hat. Eines aber kann ich Ihnen versichern, er blieb der Erlöserkirche immer treu. Bis dahin, dass er sich zurückgemeinden ließ, als er in die Altstadt zog, um weiter zu Ihnen zu gehören. Drei Amtsperioden lang war er Mitglied des Kirchenvorstands der Erlöserkirche, er war Mitglieder der Gesamtkirchengemeinde, der Dekanatssynode, er engagierte sich im Diakonischen Werk Landshut, jahrelang im Tutzinger Freundeskreis in Landshut, in der Ev. Erziehungsstiftung Ortenburg und 24 Jahre lang in der Landessynode, dort auch im Präsidium.
Wie auch diese Gemeinde, so war Fritz Anders ein Vorkämpfer der Ökumene. Für die ev. Gesamtkirchengemeinde in Landshut war er 25 Jahre lang der Ökumenebeauftragte und er baute das Collegium Oecumenicum in der Münchner Maxvorstadt auf.
Im Collegium Oecumenicum, einem christlichen Studentenwohnheim, leben heute Tür an Tür knapp 60 Studierende aus über 20 Ländern rund um die Welt. Das Fritz-Anders-Stipendium für christliche Studierende mit Migrationshintergrund beinhaltet mietfreies Wohnen inklusive Teilnahme am Semesterprogramm für ein Jahr.
Fritz Anders hat seinen Glauben und sein Evangelisch-Sein nie versteckt. Er hat gelebt, was ihm in seinem Konfirmationsspruch zugesprochen wurde:
„Röm 1,16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“ Die seligmachende Kraft des Glaubens hat ihm die Energie für all sein Engagement in Beruf, Kirche und Gesellschaft geben. Und, das sei hier erwähnt, natürlich auch die Unterstützung seiner Frau Elli, die ihm den Rücken freihielt für alle diese Aktivitäten.
Und da seine Haupt- und Ehrenämter so viele und vielfältig waren, bin ich sicher, dass ich etwas Wichtiges vergessen habe zu erwähnen. Ich hoffe, dass Sie, ich hoffe, dass Fritz Anders mir dies verzeihen möge. Bei ihm bin ich mir fast sicher. Denn er hat zu seiner Tochter gesagt, dass er nicht mit seinem Verdienstkreuz beerdigt werden möchte (das hat er nämlich 2004 erhalten). Sondern er möchte vor seinen Schöpfer treten als Mensch. Nicht als Professor, Richter, Präsident, sondern als Mensch.
So nehmen wir nun Abschied von dem Menschen Fritz Paul Anders. Wir tun es – wie er es sich gewünscht hat- mit großer Dankbarkeit. Dankbarkeit für alles Gute, dass er gewirkt hat. Aber auch Dankbarkeit gegenüber Gott, seinem und unserem Schöpfer. Ihm sein Lob in Ewigkeit. Amen.
(Predigt von Dekanin Dr. Nina Lubomierski)